FLIGHT

Veröffentlicht: 20. Dezember 2013 in reviews
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Der Pilot Whip Whitaker ist Alkoholiker. Bevor er fliegt, nimmt er Kokain, um seinen Kater wieder loszuwerden. Nachdem er sein Flugzeug aufgrund eines Maschinenfehlers bruchlanden muss, wobei „nur“ sechs Menschen ums Leben kommen, wird er aufgrund seines waghalsigen Manövers als Held gefeiert. Gleichzeitig kommt aber nach dem toxikologischen Bericht zutage, was sich alles zum Zeitpunkt des Unfalls in seiner Blutbahn befand. Während sein Anwalt nun versucht, ihn vor der drohenden Klage und einem langen Gefängnisaufenthalt zu bewahren, beschleunigt sich die Abwärtsspirale seines Alkoholismus.

Aus dreierlei Gründen gefällt mir FLIGHT außergewöhnlich gut. Zum einen gehört die Flug- und Absturzszene zu Beginn des Films zu dem Besten, was ich in dieser Hinsicht gesehen habe. Perfektes Timing, Sound-Design, glaubwürdiges Spiel, Suspense und visuelle Effekte, die lediglich der Handlung dienen und nicht ihrer selbst willen eingebaut sind. Weiterhin ist die Leistung von Denzel Washington (TRAINING DAY) großartig und essentiell für das Funktionieren des Films. Am Spiel Washingtons gefällt mir die Zurückhaltung, er driftet nie in overacting aus, und er fischt auch nicht nach Bewunderung im Sinne von „seht nur, wie ich schauspiele“ – sein ganzes Spiel wirkt introvertiert. Seine Performance ist durch und durch glaubwürdig und er porträtiert den bemitleidenswerten Piloten, hin und her gerissen zwischen ehrlicher Absicht, trocken zu werden und dem Rückfall zur geliebten Droge, auf herausragende Weise. Wahrscheinlich ist das Washingtons bisher stärkste Leistung auf der Leinwand.

Drittens ist FLIGHT für mich auch der erfreuende Moment schlichtweg gewesen, endlich wieder einen Robert Zemeckis in alter Stärke zu sehen. Nach zwölf Jahren und diversen Ausflügen ins uncanny valley (THE POLAR EXPRESS, BEOWULF) ist er wieder zurück im Live Action Spielfilm und knüpft an seine Erfolge CAST AWAY, FORREST GUMP und natürlich die BACK TO THE FUTURE Trilogie an. In FLIGHT konzentriert er sich voll auf das menschliche Drama und inszeniert die Geschichte, abgesehen von der virtuosen Action-Szene zu Beginn, in ruhigen Einstellungen und einfallsreichen doch nie deplatzierten Fahrten. Man spürt in beinahe jeder Einstellung, dass Zemeckis weiß, was er tut, und glücklicherweise driftet er nie in Kitsch ab. Stattdessen bleibt die Auflösung der Handlung bis zum Schluss interessant und nie eindeutig vorhersehbar. Denn das Drehbuch von John Gatins ist raffiniert aufgebaut und löst beim Zuschauer gewisse Dissonanzen aus. Zum einen haben wir mit Whip Mitleid, denn immerhin ist er ein Held, der viele Menschenleben gerettet hat (Simulationen anderer Piloten unterstreichen nach dem Unfall die außergewöhnliche Aktion Whips, denn kein einziger Pilot konnte das Manöver, bei welchem Whip die Maschine um 180° auf den Rücken gerollt hatte, um Zeit zu gewinnen, nachahmen. Jeder Pilot stürzte fatal ab und verlor in der Simulation alle Passagiere). Darf so ein Mensch bestraft werden? Gleichzeitig können wir natürlich nicht gutheißen, dass ein sturzbesoffener und zugedröhnter Mann im Cockpit sitzt und die Verantwortung für hunderte Menschen übernimmt. Darf so jemand weiterfliegen? Natürlich nicht, aber wir fühlen uns nicht gut dabei, dem Niedergang beizuwohnen, genauso wie die ebenfalls abhängige Nicole (Kelly Reilly), die Whip im Krankenhaus kennenlernt und kurz darauf bei ihm einzieht, wo die beiden eine zum Scheitern verurteilte Beziehung eingehen. Nicole weiß, dass sie ein Problem hat. Sie besucht Gruppen anonymer Alkoholiker und ist trocken. Whip hat diesen Punkt noch nicht erreicht, denn die Vertuschungstaktik seiner rechtlichen Vertreter ist hierfür wenig hilfreich. Erst muss er aufhören, sich selbst zu belügen und realisieren, dass er Hilfe braucht.

FLIGHT
USA 2013
Regie: Robert Zemeckis
Drehbuch: John Gatins
Kamera: Don Burgess
Schnitt: Jeremiah O‘Driscoll
138 min.

9/10

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