INTERSTELLAR ist ein würdiger Vertreter der Science Fiction

Veröffentlicht: 14. November 2014 in essays
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INTERSTELLAR

Wer eine Spoiler-freie Besprechung von INTERSTELLAR lesen möchte, der findet sie hier in meinem Blog. Der folgende Artikel jedoch bespricht Ereignisse des Films, ihr seid also gewarnt!

So viele Probleme INTERSTELLAR auch mit einigen fragwürdigen Handlungselementen oder gar überflüssigen Szenen hat, muss ich doch feststellen, dass Christopher Nolans neuester Film eines (zumindest bei mir) richtig macht: Er bietet ein Erlebnis, das man heutzutage nicht oft im Kino hat, zumindest nicht im Blockbuster-Bereich. Gleichzeitig ist INTERSTELLAR ein würdiger Vertreter seines Genres. Ich bin schon von klein auf ein Fan der Science Fiction, egal ob in Roman-, Comic- oder Filmform. Das hat zum einen mit meinem Interesse an Astronomie und Astrophysik zu tun, das ebenfalls schon in jungen Jahren vorhanden war, und zum anderen damit, dass dieses Genre in meinen Augen die Fantasie des Menschen am meisten beflügelt. In der Science Fiction ist alles möglich, davon zeugen die zahlreichen Untergenres, sei es das Märchen (STAR WARS, AVATAR, PLANET OF THE APES), die Space Opera (STAR TREK, DUNE), die psychologische Science Fiction (SOLYARIS, THE FOUNTAIN), der Horror (ALIEN) oder sonstige Mischformen. Die klassische Hard Science Fiction, besonders durch Autoren wie Arthur C. Clarke (Odyssey-Reihe, Rendevous with Rama) vertreten, ist ebenfalls ein Untergenre, das ich schätze, und das in Filmform leider eher selten vorkommt. Das ist verständlich, denn diese Kategorie ist im Realismus verwurzelt. Wikipedia definiert Hard Science Fiction als „a category of science fiction characterized by an emphasis on scientific accuracy or technical detail, or on both.“ Sie behandelt zwar auch fantastische Elemente, die jedoch meist eine wissenschaftliche Grundlage haben. Reine Hard-SF-Filme gibt es wie gesagt selten, meistens beinhalten Filme anderer Untergenres Hard-SF-Elemente, z. B. Danny Boyles SUNSHINE (2007), der aufgrund seines schlechten letzten Akts eher der Horror-SF zuzuordnen ist, oder Alfonso Cuaróns GRAVITY (2013), der in Wirklichkeit ein Katastrophenfilm ist. James Camerons SF-Filme ALIENS (1986) und AVATAR (2009) beinhalten auch Elemente der Hard-SF, was mit dessen Technik-Affinität zusammenhängt. Nach längerem Überlegen fallen mir nur wenige SF-Titel ein, die überwiegend dem Genre der Hard Science Fiction zugeordnet werden können: Natürlich Kubricks Meisterwerk und wahrscheinlich bester SF-Film aller Zeiten 2001: A SPACE ODYSSEY (1968). Robert Zemeckis’ CONTACT (1997), Duncan Jones’ MOON (2009), Sebastián Corderos EUROPA REPORT (2013) sind weitere interessante Vertreter des Untergenres. Die Liste ist überschaubar, doch wurde sie mit Nolans INTERSTELLAR nun erweitert.

INTERSTELLAR

Verglichen mit den SF-Filmen der letzten Jahre zählt INTERSTELLAR zweifellos zu den gelungenen Vertretern des Genres. Wie viele namhafte Regisseure haben mit hoch erwarteten Titeln eher enttäuscht, obwohl so viel mehr drin gewesen wäre: Ridley Scotts PROMETHEUS (2012) war ein Ärgernis, da sich hier eine übergroße Crew inkompetenter Idioten darum stritt, wer sich am dümmlichsten abschlachten lassen darf. James Camerons AVATAR überzeugte zwar auf visueller und technischer Seite, war also auch ein Erlebnis, doch hatte es leider nur ein herkömmliches und unoriginelles Drehbuch. Neill Blomkamps ELYSIUM (2013) fing vielversprechend an, mutierte dann aber zum stupiden Actionfilm. Danny Boyles bereits erwähnter Film SUNSHINE hatte das Potential zum ganz großen Wurf, machte sich dann aber durch den letzten Akt, der den ganzen Film verrät, leider alles zunichte. INTERSTELLAR gefällt mir vor allem deswegen, weil man sich hier die Mühe gemacht hat, als Ausgangspunkt für das Fantastische bei streng wissenschaftlichen Ansätzen zu beginnen. Der Film ist voller Hard-SF-Elemente, die in dieser Form noch nie so explizit und realistisch dargestellt wurden. Exemplarisch mögen hier die Darstellungen des Wurmlochs und des Schwarzen Lochs dienen, die anhand wissenschaftlicher Berechnungen, Computersimulationen und basierend auf den Theorien des Physikers Kip Thorne (der auch als Produzent beim Film mitwirkte) entstanden sind. Abgesehen davon, dass die Darstellungen filmisch wunderschön sind, wurden sie von anerkannten Vertretern wie Thorne und Neil deGrasse Tyson abgesegnet (EDIT: Dieses Video mit Tyson ist schöner und ausführlicher). Diese Verwurzelung in echten wissenschaftlichen Konzepten und Theorien zieht sich wie ein Faden durch INTERSTELLAR. Mein Lieblingsphänomen, die Zeitdilatation, wird auf eindrucksvolle Weise behandelt. Man muss kein Einstein- oder Physikexperte sein, um dieses Phänomen zu verstehen, da es im Film einfach und klar verständlich gemacht wird. Dennoch habe ich bereits mehrere Beiträge in diversen Foren gelesen, in denen sich Leute über die „Unglaubwürdigkeit“ der mit der Zeitdilatation zusammenhängenden Szenen auslassen. Nun, man kann Christopher Nolan wie eingangs erwähnt viele Vorwürfe machen und einige Plot-Elemente in Frage stellen, aber die grundlegende Physik ist schon so in Ordnung. Überhaupt scheint mir in dieser Hinsicht mit zweierlei Maß gemessen zu werden. Wem die wissenschaftlichen Konzepte in INTERSTELLAR unglaubwürdig erscheinen, der müsste im Umkehrschluss so ziemlich jeden SF-Film, der im All spielt, ablehnen (ähnlich verhält es sich auch mit der Zeitschleife in INTERSTELLAR: Viele stören sich an dem Paradoxon. Hier befinden wir uns natürlich auf absolut spekulativem Niveau. Doch dazu fallen mir zwei Dinge ein: Erstens gibt es auch zu Zeitreisen interessante wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur, die die verschiedenen Konzepte von Zeitreisen mit einfachen Worten erläutert, u. a. Brian Greens Der Stoff, aus dem der Kosmos ist (2004). Zweitens muss jemand, der ernsthaft das Zeitreise-Paradoxon aus INTERSTELLAR ablehnt (also in diesem Falle die Idee, dass eine Wirkung wiederum die Ursache auslöst, die darauf die vorherige Wirkung auslöst) die gleichen Kriterien auf Filme wie THE TERMINATOR (1984), BACK TO THE FUTURE (1985) oder TWELVE MONKEYS (1995) anwenden, da dort genau das gleiche Prinzip herrscht. Einen grafischen Überblick über die Zeitschleife in INTERSTELLAR gibt es hier.

[Die unverhältnismäßig hohe Kritik an Nolans Filmen ist ein Thema für sich, auf das ich an dieser Stelle nur kurz eingehen möchte. Kritik ist teilweise berechtigt, und auch ich habe bereits einige Dinge genannt, die mich besonders an Nolans THE DARK KNIGHT RISES, aber auch an INTERSTELLAR gestört haben. Das Nolan-Bashing, das von vielen mittlerweile – wahrscheinlich als Reaktion auf die alles heilig sprechenden Nolan-Jünger und Nolans Erfolg an den Kinokassen – wie ein Sport getrieben wird, ist hingegen unseriös, unsachlich und das andere Extrem. David Bordwell schreibt dazu treffend: „Few of today’s directors could withstand this invasive surgery, but it’s still startling to find the reverend Nolan on the operating table.“ Von ihm stammt auch das Zitat: „People who shrug off patchy plots and continuity errors in ordinary productions have dwelt on them in Nolan’s movies.“ (aus: Christopher Nolan – A Labyrinth of Linkages, Bordwell & Thompson, 2013)]

INTERSTELLAR

Ich möchte noch weitere Elemente in INTERSTELLAR auflisten, die mir aufgefallen sind und mir gefallen haben: die fest an der Außenwand des Raumschiffes verankerte Kamera suggeriert einen Realismus, wie wir ihn von heutigen Außenkameras bei Weltraummissionen (oder Autorennen) kennen. Nolan beschränkt sich hier auf limitierte Einstellungen, um diesen bestimmten Effekt zu erzielen. Dass im Weltraum kein Schall übertragen wird, hat sich mittlerweile in mehreren Filmen rumgesprochen, dennoch bin ich froh, dass auch INTERSTELLAR sich streng daran hält und die Außenszenen ohne Geräusche, sondern wenn überhaupt dann lediglich von Musik untermalt sind. Lobenswert ist auch die Tatsache, dass die Endurance als rotierendes Raumschiff konzipiert wurde, das durch die Rotation künstliche Schwerkraft erzeugt (wie auch in Kubricks Film). Über die Wissenschaft in INTERSTELLAR siehe weiterhin diese Grafiksammlung.

Doch alle wissenschaftlichen Grundlagen und Plausibilitäten (oder Unplausibilitäten) mal beiseite gelegt, muss ein SF-Film auch auf einer anderen Ebene funktionieren. In INTERSTELLAR ist dies die Bindung zwischen Cooper und seiner Tochter Murph. Mit ihr steht und fällt die gesamte Geschichte. Denn beide greifen am Ende nur noch nach diesem letzten Strohhalm, und ermöglichen somit die Auflösung, bzw. die Zeitschleife. Dies gelingt dem Film, indem er die schier unüberwindbaren Hürden nimmt: die für Menschen nicht fassbare Distanz und die Relativität der Zeit. Allein diese emotionale Brücke (seien wir kitschig und nennen sie Liebe) ermöglicht beiden das Unmögliche.
Als SF-Fan kann ich mich insgesamt nur freuen, dass Nolan das Untergenre der Hard Science Fiction, das nicht gerade tauglich für die durchschnittliche Zuschauerklientel im Kino ist, mit einem Blockbuster wie INTERSTELLAR bereichert hat.

Kommentare
  1. Alex sagt:

    Also ich muss sagen, dass mich der Film ziemlich begeistert hat. Es ist nicht die Tatsache, was das für eine abgefahrene Expedition war, sondern die Erkenntnis… wer ist bereit sein Leben für das Leben von Milliarden zu opfern … oder auch nicht?! Vielleicht bin ich kein guter Maßstab dafür, weil ich ziemlich unoft ins Kino gehe 😀 aber mich hat es echt geflashed. Die Empfehlung kam übrigens von hier: https://whisp.it/entities/interstellar-2014 Kann den Film ebenfalls empfehlen! Unbedingt gucken. 🙂

  2. Daniel sagt:

    Interstellar ist mit Recht einer der besten Zeitreise-Filme die ich bisher gesehen habe. Zwar finde ich die Story zu Anfang schwach und austauschbar, aber wie der Film sich weiter entwickelt ist der absolute Hammer. Ich will gar nicht spoilern, aber als am Ende herausgefunden wurde von wem die Nachricht kommt, die die Wissenschaftler hat aufbrechen lassen war der Film genau so wirr wie ich Zeitreise Filme mag. Man muss richtig nachdenken und hat das Gefühl nach über zwei Stunden schließt sich der Kreis. Ein Erlebnis das ich so selten bei einem Film hatte. Ein absoluter Top-Film und ein Highlight in diesem Genre.

    • indy sagt:

      Also in Sachen Zeitreise-Filme, die ich auch sehr gerne schaue, stehen für mich ganz oben auf der Liste Filme wie PRIMER (2004), TWELVE MONKEYS (1995), LOOPER (2012), THE TERMINATOR (1984) und natürlich BACK TO THE FUTURE (1985). INTERSTELLAR gehört auf jeden Fall auch auf die Liste, ebenso wie LOS CRONOCRÍMENES (2007). Am interessantesten und komplexesten geht PRIMER mit dem Thema um. TWELVE MONKEYS wird wohl immer einer meiner Lieblingsfilme bleiben und THE TERMINATOR und BACK TO THE FUTURE sind einfach Kultfilme! 😉

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